Nach 5 Jahren Auszeit: Wir entdecken uns neu, ein paar ehrliche Worte und ein schief stehender Mast

2017 legten wir in Hamburg ab mit dem Ziel Langfahrt. Ziele wie Kanaren, Kapverden und Karibik standen auf der Liste. Schnell merkten wir, dass Langsamfahrt besser zu uns passt als Langfahrt zu weit entfernten Zielen und wir passten unsere Reise entsprechend an. Aktuell verbringen wir den Winter in der Algarve.

Hört sich einfach an, war es aber nicht. Viele Diskussionen, Hoffnungen und auch Enttäuschungen waren damit verbunden. Rückblickend war es aber die beste Entscheidung für uns, die Reise anzupassen. Viele unserer Segler-Freude hatten nur kurze Ausstiege aus ihrem Berufsleben, waren durch Kinder zeitlich gebunden, erlitten eine finanzielle Bruchlandung oder entdeckten, dass diese Lebensform nichts für sie war. Für einige kam es sogar zu einem Bruch in der Beziehung, weil die Partner Prioritäten anders setzten.

Gefühlt setzte bei vielen unserer Bekanntschaften ein Umdenken nach 3-4 Jahren ein und Dinge abseits vom Segeln gewannen an Attraktivität. Die zehnte Motorreparatur ist eben doch nicht mehr so spannend wie die erste.
Wir sind nun 5 Jahre unterwegs und leben seit 7 Jahren auf unserem Schiff.

Noch immer ist es klasse, Zeitmillionär zu sein, ungebunden und unabhängig. Aber auch bei uns ist Einiges anders als noch zu Beginn der Reise und es kommen Fragen auf:

* Wir sind finanziell so aufgestellt, dass wir vor der Rente nochmal arbeiten müssen. Beim Ablegen war uns das egal… sonst wären wir nicht abgelegt. Mit zunehmendem Alter fragt man sich aber, wo und was wird sich da ergeben?
* Die Heimat war immer Hamburg und wird es auch bleiben. Doch in Hamburg haben wir nun nur noch einen Wohnwagen stehen, in dem wir unterkommen, wenn wir in Deutschland sind. Das „Zuhause“ ist zurzeit unser Schiff. Wo werden wir nach dem Segeln leben und wohnen? In Deutschland oder im Ausland oder beides?
* Welche Lebensform planen wir für uns nach dem Segeln und in der Rente? Im Discounter Regale einräumen und im 10. Stock den Ausblick auf eine Großstadt genießen, auf Low Budget im Wohnwagen zusammen altern, oder doch noch in den Drogenschmuggel einsteigen? ??
* Unser Schiff versuchten wir, bei der letzten Instandsetzung technisch möglichst einfach zu halten. Sicheres Segeln hatte Vorrang vor Wohnraum und Platzangebot. Obwohl wir versuchen, das Schiff (unser Zuhause) immer in einem guten Zustand zu halten, kündigen sich in einigen Jahren größere Renovierungen und Neuinvestitionen an. Ist es das richtige Schiff, in dem wir die nächsten Jahre leben und in das wir weiter investieren wollen?
* Wir leben extrem sparsam und die Länge unserer Auszeit war uns wichtig. Geht das noch auf oder doch mehr Komfort und Genuss?
* Wie lange WOLLEN wir überhaupt noch segeln? Gibt es andere Projekte die uns interessieren?

Kurz gesagt, die Frage nach dem „Was wird später?“ überkam uns … und das ganz plötzlich bei einem Grillabend am Strand! Wir stellten erschrocken fest, dass wir in dieser Sache erstmalig nicht ganz einig waren.
Während die Reise bei Steffi Lust auf noch mehr Meer machte und das Fernweh weckte, dachte Hatti schon an die Zeit nach dem Segeln und beschäftigte sich gedanklich mit Dingen, die mit einem festen Dach über dem Kopf, einem Fund, einem Traktor und Hühnern zu tun hatten.

Vielleicht machten wir den Fehler, unsere Reise mit denen anderer Segler zu vergleichen. Segler, die finanziell unabhängig sind, die gerade losgesegelt sind und den Hintern noch voller Hummeln haben und Seglern, deren Ziel das Segeln an sich ist und die bei jedem Wetter weit entfernte Ziele ansteuern.

Bei dieser Betrachtung gerieten die Dinge in den Vordergrund, die wir selbst bisher noch nicht geschafft haben und man leitet davon schnell Ziele für die Zukunft ab, die aber nicht unsere Art des Reisens sind. Eigene Erlebnisse und Erfahrungen, die unsere ganz eigene Reise bisher ausmachten, verblassten und irgendwie verloren wir da unseren Weg…

…nun  erwischte uns die grundsätzliche Frage nach dem „was wird später?“ also auch. Was folgte, waren Diskussionen, wie es weiter geht und man kann durchaus sagen, dass in der letzten Zeit der Mast an Bord etwas schief stand.

Wir hatten ziemlich extreme Lösungsansätze, um diesen Knoten zu lösen, merkten aber, dass wir uns mit diesen nicht wohl fühlten und mehr verlieren würden, als wir hofften zu gewinnen.

Wir rüttelten uns zurecht, ohne dass es zu Handgreiflichkeiten kam und glauben nun, dass wir einen Weg gefunden haben, mit dem wir beide glücklich sind.

Es bleibt alles, wie es war, nur eben ganz anders!!?? Wir berichten!

15 Gedanken zu „Nach 5 Jahren Auszeit: Wir entdecken uns neu, ein paar ehrliche Worte und ein schief stehender Mast“

  1. Hallo ihr beiden und wie geht es jetzt weiter?
    Hattet ihr die Bekannten von uns, die in Portugal leben erreicht?
    Ich habe Sie auf Facebook gefunden und einen kurzen Kontakt. Ihr Name in Facebook ist Sille Ju.
    Wann kommt ihr mal wieder nach Hamburg.
    Ich finde eure Texte so toll zu lesen. Vielleicht solltet ihr ein Buch schreiben?
    Wir sind noch bis Ende März in Santa Susanna.
    GLG Horst,Petra und Emma

  2. Ein Buch schreiben über das Erlebte ist hoffentlich eines der Ziele. Es macht immer wieder Spaß euren Erzählungen zu folgen und ein kleines bisschen daran teil zu haben.
    Ich denke- ihr macht beide eine Ausbildung zum Coach, macht euch selbstständig und schippert mit Menschen die eine Unterstützung brauchen , über die Meere. So vereinigt ihr Lebenserfahrung, Job und eueren Lebenstraum könnt ihr ein bißchen weiterleben.
    Liege ich richtig?
    Liebe Grüße ihr zwei und ein super 2022!
    Chantal

  3. Spannend, wir sind auch seit 2017 unterwgs uns sind ein paar Mal zurück in der CH zum arbeiten und jetzt kommt wieder segeln auf dem Vordergrund (unser Boot ist in FP) aber mit den Einschränkungen von Corona…. Wir sind gespannt auf dem nächsten Bericht.
    Sonnige Grüsse aus der CH

  4. Danke für die ehrichen Worte. Wir finden, dass auch solche Berichte wichtiger sind als Grillabende mit Tanz. Ich drücke euch die Daumen , den Weg weiter zu finden. Das Gras ist auf der anderen Wiese immer GRÜNER als auf der eigenen. (Bis man auf der anderen Wiese steht.) Mfg. SY Born to live

  5. Hallo Ihr Beiden! Wir sind auch Juli 2017 auf unsere SY Eira gezogen und haben außer ein paar Dingen alles verkauft. Unsere Reise verlief ebenfalls anders als geplant und vorher zurecht gedacht. Wir sind noch immer im Mittelmeer und genießen das rumdümpeln. Außerdem hatte ich vor fast 2 Jahren mitten in Corona einen Schlaganfall, der auch uns zum Überdenken und Nachdenken gezwungen hat. Manchmal muß man innehalten um sich zu besinnen. Ich wünsche Euch viel Glück, gleich wie Eure Lebensweise weitergeht. Liebe Grüße aus Licata, Eva

  6. Ehrlicher Bericht. Wir beginnen erst unsere Reise aber von vornherein wollen wir ohne jeden Druck losfahren. Da Europa soooo gross und schön ist können wir uns gar nicht vorstellen das alles in 20 Jahren zu schaffen. Muss aber auch nicht. Als Notfallplan haben wir in Berlin ein kleines Wochenendhäuschen und somit immer ein Stück Heimat.
    Bei vielen Seglern Blogs sehe ich die Sehnsucht nach immer wieder neuem. Da lebe ich gott sei Dank eher nach dem Motto
    Das schönere ist des schönen Feind.
    Es gibt immer was angeblich besseres und schöneres. Aber Zufriedenheit und Demut ist das größte Gut.

    Wir sind ab morgen in Ayamonte und geniessen die Algarve.

    Schöne Grüße von der Möwe.

  7. Vielen, vielen Dank für diese ehrlichen und offenen Worte. Wir haben ja letztes Jahre gerade erst angefangen und können uns kaum vorstellen, wie es uns nach fünf oder sieben Jahren an Bord geht. Ich drücke Euch alle Daumen für Euren Weg!!!!
    Herzliche Grüße
    Petra / SY Carlotta

  8. Liebe Steffi, lieber Jörg, vielen Dank für Euren Bericht und den Mut, einige Dinge auszusprechen und mit uns “Followern ” zu teilen. Wie immer Ihr Euch entscheidet – ich wünsche Euch weiterhin ganz viel Glück und bin in Gedanken bei Euch. Ich bin auch sehr gespannt, wie es weiter geht. Meldet Euch gern bei mir, wenn Ihr mal wieder in Hamburg seid. Wir hatten ja auch eigentlich etwas vor…. 🙂 Seid herzlich gegrüßt und ich hoffe, Ihr segelt weiter im “seichten Gewässer!”

  9. Eine sehr gute und personliche erzahlung. Es ist vieleicht so das der schöne strand nummer 100 ist nicht so shön vie die erste. Wir sind auch ein bisschen erlebness müde. Aber freuen uns zum weiterlesen. Unser plan ist dieser jahr die Balearen zu besuchen, und in 23 via flüsse und kanalen die farht nach Dänemark zu starten.

  10. Liebe Steffi, lieber Jörg,
    ich bin zwar nicht ausgestiegen, nur 2015 nach Peking umgesiedelt. Trotzdem kann ich manche Gedanken so gut nachvollziehen. Ich kann mir kaum vorstellen, nach Hamburg zurückzukehren. Kaum vorstellbar, dass man da irgendwie wieder reinpassen kann.
    Langfahrt (mit welchem Verkehrsmittel (Boot? Campervan?) im Anschluss an die Pekingzeit ist bei mir geplant, von daher verschlinge ich eure Berichte erst recht.
    Vielen lieben Dank für eure ehrlichen, offenen Gedanken! Bleibt alles anders – ist aber so schlecht nicht, oder?
    Ich wünsch euch, dass ihr den richtigen Weg für euch beide zusammen findet!
    LG Lin

  11. Liebe Steffi, lieber Hatti,
    es ist gibt wenig Menschen, die andere an ihren Zweifeln teilhaben lassen. Habt Dank für Eure Offenheit! Wir alle sind Reisende und Sinnsucher!
    Ganz herzliche GRÜSSE aus Hennef, Anne

  12. Hey meine Lieblingscousine und mein Lieblingscousin;-))) Was für ein Bericht… Ich finde, Ihr macht das super! Egal, wie Eure Entscheidung ausfällt, sie wird gut und richtig sein!!! Vertraut auf Euch und Eurem ❤️ ❤️ ❤️ Bis bald! Sandra

  13. Moin und Ahoi ihr Lieben,
    ist doch klar, dass irgendwann so Gedanken nach dem ‘wie weiter?’, ‘wie im Alter/Rente?’, usw. aufkommen.
    Hauptsache, ihr bleibt dabei eng beieinander und findet für euch beide einen guten Weg.
    Bin sehr gespannt, wie ihr euch ‘zurechtgerüttelt’ habt.
    Nur mal nebenbei und gaaanz theoretisch zum Thema Geld verdienen, neben Buch (könntet ihr bestimmt, habt guten Schreibstil), was wäre mit TV ?
    Ich denke da an VOX ‘Goodbye Deutschland’. Natürlich seid ihr nicht die klassischen Auswanderer, aber vielleicht hätten die Interesse. Und das Format grundsätzlich halte ich für seriös und ok, ich denke da z.B. an die Reimanns, die dort ihren ‘TV-Anfang’ nahmen.
    Ist aber nur so ein Gedanke, sowas muss man ja auch wollen und mögen, über Wochen von TV-Team begleitet zu werden mit allen Konsequenzen nach der Ausstrahlung.
    Hauptsache, ihr seid erstmal gesund und es geht euch gut soweit, geniesst den milden Winter an der Algarve 🙂
    Also LG und bis zum nächsten Bericht, ich wünsch euch immer die berühmte Handbreit Wasser unterm Kiel,
    Berti

  14. Liebe Steffi, lieber Jörg,
    meistens finden nur die Tage mit Hochglanzbildern Eingang in einen Blog. Danke, dass ihr euch traut auch die persönlich herausfordernden Momente zu teilen!
    Wir sind erst seid 2019 unterwegs. Haben eure Fahrt aber schon seid eurer Zeit in VIGO “auf unserem Radar”. Manche Dinge konnten wir aus eurem Blog vorausahnen. Andere, wie die große “Entschleunigung” Corona, wohl niemand.
    Wenn es zutrifft, dass jede Zeitspanne zu Zweit an Bord SIEBEN an Land gleichkommt, dann erwartet uns Langzeitsegler wohl alle etwas früher die Überlegung “was wollen wir in zehn Jahren machen und was müssen oder können wir dafür jetzt vorbereiten .”
    Ich hoffe inständig, dass diese Frage an einem warmen, sonnenverwöhntemn und chilligen Tag aufkommt. Die Situation ist dann deutlich angenehmer zu betrachten als wenn der Wind im Rigg heult und der horizontal fliegende Regen kaum unter den dunklen Wolken zu erkennen ist.
    Wir hoffen, euch mit sonnigem Gemüt, unter blauem Himmel auf dem Meer eurer Wünsche wieder zu treffen!
    Dörte & Jens
    von der TENDREL-AURELIE

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